PRESSEMITTEILUNG: Piratenpartei veröffentlicht INDECT-Dokumente: EU forscht im Geheimen am Überwachungsstaat
Piratenpartei Bayern Presse
presse at piratenpartei-bayern.de
Mi Sep 8 13:34:11 CEST 2010
Pressemitteilung der Piratenpartei Deutschland, verteilt durch den
Landesverband Bayern, 08.09.2010
In Zusammenarbeit mit der deutschen Piratenpartei wurde heute von der
futurezone ein enthüllender Artikel über das EU-Projekt INDECT
veröffentlicht. Er basiert auf internen Fortschritts- und
Planungsdokumenten, die den Piraten zugespielt wurden. Diese werden
der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten: Aufgrund vielfältiger Kritik
beschlossen die Projekt-Verantwortlichen kürzlich sogar eine neue
Geheimhaltungsstufe. Welche Daten an die Öffentlichkeit gelangen,
beschließt ab jetzt ein INDECT-"Ethikrat".
Die Dokumente verraten, dass die EU eine Vielzahl von Technologien
erforschen und einsetzen will, um ihre Bürger lückenlos überwachen zu
können.
### Aufbau automatisierter Überwachungsstruktur ###
Das Projekt sieht vor, den Einsatz von Überwachungskameras auszubauen
und ihre Daten automatisiert auszuwerten. Für die Luftüberwachung
sollen sogar Drohnen eingesetzt werden. Außerdem ist geplant,
Datenspuren der Bürger im Internet- insbesondere in sozialen
Netzwerken, Foren und Blogs – zu analysieren, speichern, vernetzen und
nutzen, um potentielle Gefährder zu erkennen.
Überwachungskameras nutzen präventiv die biometrischen Daten aus
Pässen, um Personen zu identifizieren. Wie die veröffentlichten
Dokumente verraten, sollen durch mangelhaft konzipierte Umfragen unter
Polizisten stereotype Gefährder-Profile geschaffen werden: Wie sehen
Taschendiebe, Hooligans oder Terroristen aus? Woran erkennt man
Vandalismus, Überfälle oder Personen, die Hilfe benötigen? Das Projekt
weiß eine Antwort darauf: Generell ist jeder verdächtig, der auf der
Straße läuft, rennt oder zu schnell fährt. Wer im öffentlichen
Nahverkehr auf dem Fußboden sitzt, zu lange mitfährt oder sein Gepäck
vergisst, muss ebenfalls mit Maßnahmen der Sicherheitskräfte rechnen.
Genauso verdächtig sind "herumlungern", sich mit zu vielen Personen
treffen und fluchen.
Anhand der gewonnenen Profile sollen die automatisierten Programme
lernen, Gefährder selbständig zu erkennen. Angesichts der mangelhaften
Ausgangsdaten werden somit falschen Anschuldigungen Tür und Tor
geöffnet.
### Menschenrechte als Hindernis ###
Dass diesen Plänen schwerwiegende Bürgerrechts- und
Datenschutzbedenken entgegenstehen, ist im Projekt zwar bekannt, wird
aber eher als zu überwindendes Hindernis denn als ernstzunehmende
Warnung gesehen. So heißt es im "Arbeitspaket 9":
"Die Methoden, die die Polizei einsetzt, hinken denen der Kriminellen
hinterher. Das liegt an zwei wichtigen Faktoren:
- Der Höhe der finanziellen Mittel und deren schnelle und präzise
(weil im Gegensatz zu staatlichen Behörden unbürokratische) Verteilung.
- Die Polizei muss die Gesetze und Menschenrechte respektieren."
Auch andere, sehr schwammig formulierte Absätze zeigen, dass
Bürgerrechte und Privatsphäre im Hinblick auf die detailliert
beschriebenen Überwachungsziele und -maßnahmen eher als
Nebensächlichkeit betrachtet werden. Während Überwachungsmaßnahmen
über viele Seiten ausführlich beschrieben werden, werden
Datenschutzprobleme nur am Rande thematisiert und rasch vom Tisch
gewischt.
### Mehr Datenschutz durch INDECT? ###
Stellenweise sehen die Macher von INDECT ihre Bestrebungen jedoch als
Verbesserung des Datenschutzes an. Schließlich, so die Erklärung,
würden Personen nicht mehr von anderen Menschen überwacht, sondern
vorerst vermeintlich anonym von einer Software. Diese Software
entscheide dann gemäß der eingestellten bzw. erlernten Kriterien zu
verdächtigem Verhalten, in wessen Privatsphäre später noch tiefer
eingegriffen werden soll.
Diese Argumentation führt nicht nur die Unschuldsvermutung ad
absurdum, sondern offenbart auch die perverse Logik hinter INDECT: Ein
automatisierter, maschineller Eingriff in die Privatsphäre soll nicht
schlimm sein.
Die Piratenpartei ist erfreut darüber, die beiden Berichte allen
interessierten Bürgern zur Verfügung stellen zu können und fordert die
EU und die beteiligten Organisationen auf, alle Dokumente des Projekts
zu veröffentlichen.
Wer nicht die Zeit hat, das gesamte Dokument zu lesen, findet
nachfolgend eine stichpunktartige Zusammenfassung.
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Quellen:
Dokumente - http://files.piratenpartei.de/indect
Artikel - http://futurezone.orf.at/stories/1660457
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Links:
[1] Wikipedia Artikel - http://de.wikipedia.org/wiki/INDECT
[2] INDECT Zielsetzung -
http://www.asta.uni-wuppertal.de/stupa/wp-content/uploads/2009/11/indect_scope.pdf
[3] Vertretung der Studierendenschaft der Uni Wuppertal fordert
sofortigen Stopp der Beteiligung an INDECT -
http://www.stupa.uni-wuppertal.de/?p=224
[4] Ethical issues related to the INDECT project -
http://www.asta.uni-wuppertal.de/stupa/wp-content/uploads/2009/11/indect-ethical-issues_14nov2007.pdf
[5] Projektsteckbrief Drittmittelprojekt Uni Wuppertal -
http://www.ff.uni-wuppertal.de/prdetails.php?id=54
[6] Protokoll eines Gesprächs mit den Professoren Dziech und Tibken an
Uni Wuppertal
http://www.asta.uni-wuppertal.de/stupa/wp-content/uploads/2009/11/protokoll_gesprach-indect.pdf
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Zusammenfassung
### WP 1 (D1.1) ###
* Überwachung mit CCTVs ist bislang ineffizient, da einzelne
Kameraleute nur ein bestimmtes Maximum an Kameras im Auge behalten
können; fehlende Erkennung von "verdächtigem Verhalten" ist der
limitierende Faktor
* Lösung: Polizisten (in Polen) befragen:
- Was ist verdächtiges Verhalten?
- Welche Hardware-Mindestvoraussetzungen müssen erfüllt sein um CCTVs
sinnvoll zu machen?
* Fragebögen zum Verhalten an Polizisten verteilt:
- Wie sehen Taschendiebe/Dealer/Drogenabhängige/verlorene
Kinder/Hooligans/Terroristen aus, welche Kleidung tragen sie?
- Woran erkennt man Autodiebstähle, Vandalismus, Bedrohung mit
Waffengewalt etc.
- Woran erkennt man Personen, die Hilfe benötigen?
- Welche Bewegungsarten zeichnen gefährliche Situationen in
Massenveranstaltungen aus?
* Fragebögen zur Hardware:
- CCTV-Auflösung?
- Framerate
- Speicher-Dauer
- Monitor-Auflösung
- Internet-Geschwindigkeit
- Wie wichtig ist Audio?
* Ergebnisse. Gefährlich ist, wer...
generell
- auf der Straße läuft
- kämpft
- rennt
- Falschfahrer ist
- zu schnell fährt
im öffentlichen Nahverkehr
- auf dem Fussboden sitzt
- zu lange sitzt
- Gepäck vergisst
im Stadion
- Flaschen wirft
- das Spielfeld betritt
am Flughafen
- Gepäck vergisst
- zu lange sitzt
Die Befragten wollen so gute Kameras und Monitore wie möglich. 40
Prozent der Befragten wollen mindestens einen Monat lang die Daten
speichern.
Aus den Fragebögen-Ergebnissen wird abgeleitet, welche
Verhaltensweisen automatisiert erkannt werden sollen:
- Bewegung in die "falsche" Richtung
- Herumlungern
- Treffen von mehr als X Personen
- Autodiebstahl
- Laufen
- fallende Personen
- Gepäck vergessen
- Herumsitzen, länger als Dauer X
- Hilfeschreie
- Schüsse, Explosionen, Schreie
- fluchende Personen
* so erkannte, verdächtige Situationen sollen dann dem Polizisten vor
dem Monitor gezeigt werden
* Datenschutz für Überwachte steigt, weil die Speicherdauer damit
minimiert wird und andere Menschen die Aufzeichnungen nur sehen, wenn
man sich verdächtig verhält
* Kriterien könnten Vorurteile widerspiegeln; Parameter müssen ggf. in
der Pilotphase angepasst werden
* "Watermarking", um persönliche Daten wie Gesichter nur
"autorisiertem Personal" zugänglich zu machen
* Security-Maßnahmen ab Seite 43
### WP 9 (D9.4) ###
"Methods applied by the police are a step back as compared to those
used by criminals. It is caused by two most important factors:
- Level of finance, which is fast and precisely allocated.
- Police have to respect the rule of law and human rights."
Insgesamt eine Zusammenfassung der einzelnen Work-Packages (WP), ihrer
Ziele und des aktuellen Status.
### WP1 ###
- Konzept zur automatisierten Überwachung von Gebäuden und Orten
definieren und erarbeiten
- Pilotsystem erarbeiten
- Evaluation der Ergebnisse
- Details siehe oben
### WP2 ###
- mobile Systeme zur Identifizierung und Positionsbestimmung von
überwachten Personen
- Aufbau von unbemannten Drohnen, die Luftüberwachung automatisiert
durchführen
- Aufbau von mobilen Systemen zur Ortung und Navigation, die
untereinander vernetzt sind
### WP3 ###
- Überwachung von verdächtigen Aktivitäten im Internet
- umfasst Webseiten, Foren, UseNet, Fileserver, P2P & individuelle Computer
- Inhalts-Analyse der Informationen aus den einzelnen Quellen
- Analyse der Daten auf kriminelle Tätigkeiten
### WP4 ###
- ebenfalls Analyse von online verfügbaren Daten
- Beziehungsnetzwerke durch Social Networks
- Verhaltensbeobachtung bereits bekannter Krimineller
- "Development of Tools to find specific Information on the Internet"
- Data-Mining und Erkennung auffälliger Webseiten
### WP5 ###
- Bau von Algorithmen für:
- Watermarking
- Suchmaschinen für Personen und Dokumente
- verteilte Systeme zur Identifikation von Verbrechern
- Semantic Search Engine
### WP6 ###
- single point of access-portal zum Krisenmanagement
- zunächst Bestimmung der Anforderungen, die von offiziellen Stellen
(Polizei etc.) für ein solches Portal benötigt werden
- Vernetzung mit den Datenquellen von INDECT
- offener Teil für Bürger, geschlossener Teil für Polizei & Co
- Herzstück zur Ausgabe der gesammelten Daten
### WP7 ###
- Integration bestehender Sicherheitssysteme
- Einbau von künstlicher Intelligenz und Biometrie in
Sicherheitssysteme, auch um unbekannte Straftäter direkt erkennen zu
können
- automatische, computergestützte Erkennung von Gefahren durch
kriminelles Verhalten
### WP8 ###
- Spezifikation von Standards für sichere Dateiübertragung und
Einhaltung von Datenschutzrichtlinien im Rahmen von INDECT
### WP9 ###
- Überwachung der Ergebnisse der einzelnen Projekte innerhalb INDECTs
- Technologie-Transfer in die Wirtschaft
- Bereitstellung von Test-Systemen in Schulen, Städten etc.
- Evaluation des gesamten Projekts
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Verantwortlich für den Inhalt dieses Artikels: Piratenpartei Deutschland
Pressekontakt:
Piratenpartei Deutschland
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Dirk T. Polly | Pressesprecher
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Die Piratenpartei Deutschland (PIRATEN) beschäftigt sich mit den
entscheidenden Themen des 21. Jahrhunderts. Das Recht auf
Privatsphäre, eine transparente Verwaltung, eine Modernisierung des
Urheberrechtes, freie Kultur, freies Wissen und freie Kommunikation
sind die grundlegenden Ziele der PIRATEN.
Bei der Bundestagswahl im September 2009 erreichte die Piratenpartei
aus dem Stand 2,0 Prozent bzw. 845.904 Stimmen. Im Vergleich zur
Europawahl im Juni 2009 (0,9 Prozent, 229.464 Stimmen) konnten die
Piraten die Zahl ihrer Stimmen sogar fast vervierfachen. Die
Piratenpartei hat mittlerweile über 12.000 Mitglieder.
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